11.08.17 || MARTINSTHAL/BAIKEN (10. August 2017) - Auch das macht den Charme des Rheingau Musik Festivals aus: dass neben großartigen Konzerten mit namhaften Künstlern Platz ist für Kabarett und
Kleinkunst. Und diese Veranstaltungen finden allemal ihr begeistertes Publikum - gleich welchen Alters. So auch im Weingut Diefenhardt in Martinsthal, wo der Ausnahme-Kabarettist und Comedian Martin
Zingsheim & Band mit ihrem Programm „Heute ist morgen schon retro" auftrat und die Gäste im Hof des Gutsausschanks zu immer wieder stürmischem Applaus herausforderte.
Martin Zingsheim spannt einen weiten Bogen bei seiner Auseinandersetzung „mit dem Wahnsinn der Zeit!" Mit seinen langjährigen Weggefährten bietet er ein Musikkabarett mit viel Tiefsinn. Er selbst am Piano, Martin Weber (Geige), Nils Wittmann (Klarinette) und Claus Schulte am Schlagzeug bewegen sich zwischen Tango und Rock´n Roll, zwischen Hip-Hop, Schlager und Popsong, und die vier sind musikalisch auf höchstem Niveau.
Martin Zingsheim &
Band: Nils Wittmann (Klarinette), Martin Weber (Geige) und Claus Schulte (Schlagzeug) und am Piano Bandleader Zingsheim
Zingsheim, auch ein exzellenter Wortakrobatiker, spricht vieles an, ohne roten Faden, aber stets aktuell den Zeitgeist treffend. Wenn er die „Rucola-Generation" beschreibt und bedauernd feststellt, dass Studenten immer noch auf die Straße gehen, aber natürlich jetzt unter Heizpilzen stehen, wenn er von den Schickimickis erzählt, „deren Sohn mit dem Hausfrauen-Panzer (Ranch Rover) Bio-Brötchen zum Frühstück holt", dann hat man auch einmal den Eindruck, dass sich einige Besucher erwischt fühlten. Er philosophiert über Aristoteles bis John Lennon, über die Angst, Daten preiszugeben und sich jedoch ständig auf Facebook zu outen. Er nimmt auch sich selbst nicht so ernst: „Ein Piano ist ein harmloses Ding, die Gefahr droht vom Pianisten!" Ja, er hat recht damit, wenn er meint: „Es gibt Gedanken, die klüger sind als die, die ihn sagen."
Martin Zingsheim mit seinen vielen Soli am Piano - und seiner
tiefgründigen Sprachjonglage. Fotos: Rheingau Musik Festival
Martin Zingsheim - promovierter Musikwissenschaftler - wurde 2016 mit dem „Salzburger Stier" - dem renommierten Kabarettpreis des deutschsprachigen Raums - ausgezeichnet und ist auch Preisträger des deutschen Kleinkunstpreises. Er bietet perfektes Kopfkino und ist ein verblüffender Sprach-Akrobat: „Egal was Du sprachtest, ich verstund Dir einfach..." Ihn hat das Publikum auch verstanden. Seine Sprachversessenheit mündet stets darin, dass die „Normalität in Gefahr" ist. Fürwahr, Zingsheim ist ein heller Stern am Kleinkunsthimmel. Er und seine Mitmusiker erhielten Standing Ovations und lang anhaltenden Beifall. Die Konsequenz: Klein-Kunst = groß-artig!!!
Und eine Weisheit noch, was Martin Zingsheim so oft in seine Texte einstreute: „Oder mit Robert Lembke zu sagen..." Nun, der sagte unter anderem: „Eine der schmerzhaftesten Todesarten ist das Totgeschwiegen werden". Das jedoch wird dem Ausnahmekünstler ganz sicher nicht widerfahren!
Wer zu den „Hergelaafene", zu den „Eingeplackte" oder zu den „Zugeraaste" gehört und die Hessen gar nicht oder nicht so ganz kennt, der hat einen vortrefflichen tiefsinnigen Nachhilfeunterricht beim
Rheingau Musik Festival im Baiken in der Domäne Rauenthal bei Eltville erhalten. Der Interpret über die „hessisch Sproach" und den Charakter des Hessen in seiner Vortrefflichkeit half in amüsanter
Form weiter: Walter Renneisen mit seinem Programm „Deutschland, Deine Hessen". Es war eine erlesene Collage aus literarischen Fundstücken und Mundart-Schnipseln , eine hochgradig unterhaltsame
Typisierung der hessischen Gesamtkultur seit es den Volksstamm der Hessen gibt.
Walter Renneisen beim Rezitieren
Renneisen, Träger des letztjährigen Rheingau Musikpreises, ist nicht nur exzellenter Schauspieler und Musiker, sondern hat auch Geranistik und Philosophie studiert. Seine Betrachtungen gleiten nie ab ins Banale oder wirken gar kitschig. Er spannt den Bogen von Goethe zu Büchner, zu Clemens von Brentano bis zu den Brüder Grimm, macht einen Ausflug in die Urzeit über die Grube Messel und die Rheinische Tiefebene, zu den Römern, Kelten und Chatten und erobert das Herz seines Publikums im Sturm.
Mit einer kleinen Anekdote mahnt er, sich zu seinem Dialekt zu bekennen: Als Gott am siebten Tag den Menschen die Dialekte zuteilte, hatte er die Hessen vergessen. Diese protestierten wütend! Und der
liebe Gott beruhigte die Empörten: „Reescht Euch net uff, dann babbelt halt wie isch!" Dass der sanfte hessische Zischlaut bei „Isch liebe Disch" viel weicher klingt erklärt er so: „Des klingt wie en
Fahrradschlauch der die Luft verliert!"
Walter Renneisen am Kontrabass, sein Lieblingsinstrument. und rechts im
Bild beim GitarrespielenFotos(3): Rheingau Musik Festival
Im Verlauf der Veranstaltung stellte sich heraus, dass er im Baiken Gäste unter dem Zelt hatte, die im Dialekt doch sehr bewandert waren. Als er anfing, Friedrich Stoltzes „Uff em Termsche sitzt e Wermsche mit em Schermsche..." zu rezitieren, wurde das Gedichtchen lauthals gemeinsam aufgesagt. Nicht nur das Hessische rund um Frankfurt beherrscht er perfekt, er trifft auch genau den Ton des Oberhessen mit der „RRRunkelrrreuweroppmaschin mit de Rrritzerowre Rädrr" unn „Siehste net die Säu im Gaaade.." Und er deckt die ziemlich umständliche Grammatik unseres Dialekts auf: „Is des vielleicht Ihrm Mann seiner Schwester ihr Auto?" was ja in Hochdeutsch ganz einfach heißt: „Gehört das Auto Ihrer Schwägerin?"
Wie profan über den Tod gesprochen wird, dann klingt das so: „Gut dass de Schorsch gestorwe is, er hätt sowieso net mehr lang gelebt!" Oder „Mancher sterbt ganz leicht, unn mancher geht druff
debei!"
Der Musiker Renneisen hatte auch seine Instrumente auf der Kleinen Bühne und zeigte sein Können u.a. am Flügel, der Trompete, Fanfare und Gitarre und am Kontrabass und Schlagzeug. Er plauderte über die Musik der Pfadfinderromantik mit „Jenseits des Tales.." und die 50-Jahre-Schlager wie „Rosemarie, sieben Jahre mein Herz nach Dir schrie..." und die Erlösung durch „Rock around the clock", „Tuttifrutti" und den Jazz. E spielte und trommelte Marschmusik, um dann in begeisternde Jazzrhythmen überzugehen und verabschiedete sich mit „What a wonderful world" auf der Trompete.
Mit der Überzeugung „De beste Mensch is e Ärschernis wenn er net von Hesse is!" applaudierte das Publikum dem Ausnahme-Künstler Walter Renneisen anhaltend und mit vielen Bravo-Rufen und Standing Ovations.